Kussmaul | Rockstars in the Kitchen

Kussmaul Chefs Table

Rockstars lassen ihr Publikum bei Konzerten ja gerne warten. Und auch Küchenchef Mario Bernatovic hat etwas länger gebraucht, bis er seine neue Bühne am Spittelberg endlich betreten hat. Die Erwartungen an das – vielfach als Konzept-Restaurant denunzierte – Kussmaul waren dementsprechend hoch. Mitte Juli war es dann endlich so weit: das Kussmaul – Café, Bistro, Pâtisserie und Restaurant zugleich – öffnete seine Pforten. Während untertags aus einer hochwertigen Frühstücks- und hippen Snack-Karte gewählt werden kann, verwandelt sich das durchgestylte Lokal am Abend in das derzeit wohl coolste Fine Dining Restaurant Wiens. Wer dieses Spektakel in erster Reihe erleben möchte, bucht am besten den Chefs Table und genießt ein 10-Gang-Überraschungsmenü mit bestem Blick auf die offene Schauküche. Dort spielt Bernatovics Küchencrew ganz groß auf. Die sehen nämlich nicht nur so aus wie bekackte Rockstars (im positivsten Sinne), sondern rocken die Küche auch entsprechend. Locker, lässig, geil!

Kalbstatar mit Krenmousse, Rehbutterschnitzel

Zum gemütlich Ankommen hat man im Kussmaul keine Zeit: im Hintergrund schallt gar nicht leise Deep House Mukke (oder so was ähnliches), von zwei Kellnern wird man fast überschwänglich begrüßt, und der Küchenchef drückt einem gleich ein Stanitzel mit Kalbstatar und Krenmousse in die Hand. Ja, auf die übliche Etikette sowie altbackenes Haubenrestaurant-Schischi wird hier verzichtet. Das macht einerseits viel Spaß – weil Atmosphäre und Servicecrew ausgelassen und entspannt sind, und sowieso niemand versteht warum in Top-Restaurants oft so viele Leute einen Stock im Arsch haben. Andererseits nervt es – weil vor lauter Lässigkeit ab und zu auch auf die Basics – wie das vernünftige Erklären einer Speise – vergessen wird.

Zu unserem zweiten Amuse Bouche, einem herrlichen Rehbutterschnitzel mit Schnittlauchpüree und Kresse, genießen wir bereits unseren Aperitif – einen sagenhaften Pinot Noir Sekt aus dem Hause Artner, der auf den Namen Rosy Cheeks by Punk’s Finest Wines hört. Tja – Rockstars eben. Viel Spaß verspricht auch das 10-gängige Chefs Tasting Menü, das um 100 € geradeaus feil geboten wird. Dazu ordern wir die Weinbegleitung um 64 € sowie eine alkoholfreie Getränkebegleitung um 31 €. Beides ultraspannend, sehr ungewöhnlich und fast immer auf den Punkt passend zum jeweiligen Gericht.

Lammbeuschel

Der Genussreigen startet mutig mit einem Lammbeuschel, das zum Glück mit dem oft gallig-pappigen Wirtshausklassiker nicht viel zu tun hat. Gleichzeitig gibt diese Speise Aufschluss über eine Besonderheit von Bernatovics Küchenlinie: deftig-anmutende Kost wird so raffiniert auf den Teller gezaubert, dass daraus spielend leichte Kreationen werden. Toll dazu schmeckt auch der zartfruchtig-mineralische Gelbe Muskateller Opok aus dem Hause Muster, der wie auch die meisten anderen Weine biodynamisch hergestellt wurde und der spannenden Kategorie der Natural Wines zuzuordnen ist.

Joghurt mit Basilikumsorbet und Rüben

Von Anfang an spielend leicht kommt hingegen das Joghurt mit Basilikumsorbet und Rüben daher. Wunderschön angerichtet und präzise im Geschmack ist diese Speise ein wahrer Augen- und Gaumenschmaus. Besonders schön auch, dass Gemüseraritäten wie die rot-weiß-geringelte Chioggia-Rübe verwendet werden.

Makrele mit Krensorbet und knusprigen Noriblatt-Puffreis

Der erste asiatisch Touch in der Kussmaul-Küche wird mit der Makrele mit Krensorbet und knusprigen Noriblatt-Puffreis. Vielfältige Aromen und Texturen überraschen am Teller und ergeben hier ein stimmiges Ganzes. Der rohe fetthaltige Fisch wird ideal von der Schärfe des Krens und der Bittrigkeit der Zitrusfrüche begleitet. Als unwiderstehliches Teufelszeug darf man getrost die krachend knusprigen Chips aus Noriblatt-Puffreis bezeichnen, die fast besser schmecken als ein Spanferkel-Schwartl. Stilecht und passend auch die Getränkebegleitung: ein Amabuki Rhododendron Sake.

Hummer mit Sommergemüse und Bouillabaise

Zurück versetzt in den Urlaub am Hafen von Marseille fühlen wir uns mit dem zart-aromatischen Hummer mit Sommergemüse, der von einer molligen Bouillabaise umschmeichelt wird.

Zucchiniblüte gefüllt mit Ziegenkäse und altem Brot, Rosinenverjus und Zwiebelpüree

Bernatovic kann auch vegetarisch: das beweist er mit der abgöttisch guten, in Tempurateig frittierten Zucchiniblüte, die mit Ziegenkäse und Altbrot gefüllt wurde und mit fein säuerlichen Verjus-Rosinen und Zwiebelpüree auf den Teller kommt. Bemerkenswert ist hier die alkoholfreie Getränkebegleitung: ein weißer Tee aus Kardamon und Holunder schafft es problemlos, den auch bei weitem nicht schlechten, Sancerre 2011 in den Schatten zu stellen. Das bitte ist Weltklasse!

Ravioli gefüllt mit Shiitake-Pilzen, Ragout von Schweinfüssen, Baguette mit Schweinskopf, Estragonblüte, Espuma

Verboten gut aber eine Spur zu deftig gerät der nächste Gang: die Ravioli gefüllt mit Shiitake-Pilzen, Schweinsfuß-Ragout und Schweinskopf-Baguette schmecken zwar einfach geil, nach der dritten Gabel macht sich aber schon ein Sättigungsgefühl breit. Estragonblatt und -blüte sowie ein Majoran-Joghurt-Espuma sollen hier den geballten Fleischgeschmack abfedern, schaffen diese Übung aber leider nicht ganz.

Saibling mit Wurzelgemüse und Schnittlauchsauce

Der nur ganz leicht erwärmte Saibling mit Wurzelgemüse und Schnittlauchsauce gönnt dem Gaumen die notwendige Erfrischung. Butterzart – eh klar, weckt der Saibling hier dank seiner ungewöhnlichen Beilagen Assoziationen zum Tafelspitz-Klassiker. Gelungen!

In Vanille geschmorte Taube, Gänseleber und Paradeiser-Erdbeer-Relish

Danach wird wieder ins deftigere Metier gewechselt: Die in Vanille geschmorte Taube mit Gänseleber und Paradeiser-Erdbeer-Relish bestätigt endgültig, was wir eh schon längst wissen: im Kussmaul werden nur beste Produkte mit Bedacht auf Regionalität und Nachhaltigkeit verwendet. Gut, wenn man weiß wofür man 100 € zahlt…

Rehrücken mit Eierschwammerl, Kirsche, Waldmeistergel  und Selleriesauce

Dann überrascht uns die Küchencrew mit einem weiteren Fleischgang: der Rehrücken mit Eierschwammerl, Kirsche, Waldmeistergel und Selleriesauce schmeckt vorzüglich, auch wenn das Fleischstück vielleicht etwas zu roh geraten ist. Freilich perfekt dazu munden die Eierschwammerl, witzig in Geschmack und Textur: das Waldmeistergel.

Pfirsich

Jetzt sind wir endgültig pappsatt, und bevor Chef Bernatovic auf weitere blöde Ideen kommt, sagen wir ihm lieber dass wir jetzt dann bereit für die Desserts wären. Nach einer kurzen Verschnaufpause werden dann sogleich zwei unterschiedliche Süßspeisen gebracht: Eine wunderbare Variation vom Pfirsich mit Kürbskern-Cracker sowie…

Schokoladenvariation

… eine gelungene Variation von der Schokolade mit karamellisierten Popcorn (YES!).

Alter Gouda

Gleichzeitig mit den Nachspeisen wird auch noch der Käsegang serviert: der Alte Gouda sollte den – leider schon längst geschlossenen – Magen schließen. Der Gouda ist trotzdem ein Träumchen, die darunter und daneben platzierten Cremchen eher weniger.

Zugegeben: am Schluss waren wir vom 10-Gänge-Degustationsmenü schon etwas erschlagen. Bei den einzelnen Gängen gab es zwar fast keine negativen Ausreißer, bei der hohen Anzahl von 10 Gängen würden wir trotzdem die Zusammenstellung des Menüs etwas überdenken. Weniger ist oft mehr, das trifft wohl auf das ein oder andere gallige Sößchen und Cremchen sowie auf die Anzahl der Aromen am Teller zu.

Weniger ist mehr – das könnte man sich auch über das Kussmaul-Gesamtkonzept denken. Denn das Kussmaul will alles können, will die eierlegende Wollmilchsau unter Wiens Lokalen sein: Veggie-Frühstück und Business Lunch, coole Bar und Haubenrestaurant, Burgerbude und Hipster-Treff. Nichts was “in” ist, fehlt hier: selbstgemachtes Sauerteigbrot, Yuzu-Butter, Natural Wines, Craft Beer … die Liste ist endlos. Schlecht? Nein, eigentlich gut. Aber kann das gut gehen? Es kann. Im Kussmaul scheint all das tadellos zu funktionieren. Taube Sous-Vide und Meatballs, Gin-Cocktails und biodynamische Weine, House-Music und Psychedelic Journey auf der Toilette. Und auch wenn man den Kussmaul-Machern Bobo-Opportunismus vorwerfen kann, die wirklich wichtigen Dinge passen hier einfach: nachhaltige Bio-Produkte so weit das Auge reicht, viel Leidenschaft und Können, und echte Rockstars in der Küche!

Kussmaul

Empfehlenswert Preis-Leistung: ok

Kussmaul
Spittelberggasse 12, 1070 Wien
www.kussmaul.at

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5 Gedanken zu “Kussmaul | Rockstars in the Kitchen

  1. Ich war an einem Samstag mit meinem Mann und meinen 2 Kindern zum Mittagesssen dort. Wir bekamen eine satte Rechnung, wurden aber nicht satt und sind total enttäuscht vom Essen. Zu den Kinderwienern bestellen wir “Kussfritzen” = Pommes und die waren ausser fett nur mehr fett. Meinem Sohn war nach dem Essen so schlecht, er musste sich übergeben. Das Fleisch vom Kalbsgulasch war durchzogen von Fett und zäh und das Beef Tartar schwomm in einer undefinierbaren Sauce. Beim Abservieren haben wir’s dem Kellner gegenüber erwähnt. Er meinte: “Ich leite es der Küche weiter.” Und das war’s. Wir zahlten und beim Verlassen des Restaurant’s gingen wir bei ungefähr 5-7 Mitarbeitern von Kussmaul vorbei, aber keiner hat uns verabschiedet. Es fehlt einfach an Basics. Schade!

    • Hallo Evelyn!

      Vielen Dank für dein Kommentar – schade dass bei euch das Essen nicht gepasst hat. Wir waren ja am Abend dort, und haben keines der von euch erwähnten Gerichte gehabt – deshalb können wir dazu nicht allzu viel sagen. Nur soviel: wie bereits auch in unserem Beitrag erwähnt, finden wir es auch etwas überambitioniert dass man sowohl eine “normale” Küchenlinie als auch eine Fine Dining Schiene fahren möchte – und das auch noch ganztags. Da kann es eventuell Gerichte oder Zeiten geben, wo sich das ganze dann halt nicht mehr ausgeht.

      Für das Abendgeschäft (aber auch für das Frühstück) bleiben wir aber dabei: wir waren recht angetan, auch wenn man etwas tiefer in die Tasche greifen muss. Und (mehr als) satt wurden wir beide Male auch.

      LG, Tini & Thomas

  2. Selten so gelacht danke für den netten Abend leider bin ich mit der falschen Erwartungshaltung zu Ihnen gekommen , ich dachte ehrlich es gibt bei Ihnen etwas zum Essen, aber der unterhaltsame Mehrwert, beim servieren der “Hauptspeise” hat mich das Hungergefühl vergessen lassen mit dem ich Ihr Lokal verlassen habe!
    Muss man mal erlebt haben, ein Bissen Kalbfleisch 3cmx2cm dazu 3 Patzen Senf um € 32.-
    Hut ab für Ihren Mut so etwas unter “Hauptspeise” zu servieren.

    Ach ja als z.b. 4 Gänge Menü wäre die “Speise” auch zu haben gewesen allerdings natürlich nicht in einer so großen Portion !
    Das war wirklich die beste Aussage des Abends.
    Also als Kabarettrestaurant wirklich zu empfehlen

    • Hallo Oliver!

      Grundsätzlich möchten wir nur mal festhalten, dass wir mit dem Kussmaul nichts zu tun haben (weil das in deinem Kommentar irgendwie so rüberkommt).

      Zum Inhaltlichen: Ich glaub, dass hier das Problem im Mix zwischen Casual und Fine Dining Konzept zu finden ist. Während man im Kussmaul wohl mit einem Burger oder den Meatballs durchaus satt werden kann (auch nur mit 1 Gang), ist eine Fine Dining Hauptspeise nun mal für ein mehrgängiges Menü konzipiert. Auch in anderen Gourmetrestaurants (z.B. im Steirereck) zahlt man für eine Hauptspeise jenseits der 30-40 €, wird aber nur satt werden wenn man 3-5 weitere Gänge dazu isst.

      LG, Tini & Thomas

  3. Pingback: Kussmaul in Wien - Pixi mit Milch

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