Es gibt Dinge, die macht man tagtäglich (Essen, zum Beispiel). Anderes, wie etwa der Besuch eines guten Restaurants, gönnt man sich nur ab und zu. Und dann sind da noch jene Erlebnisse, die so außergewöhnlich, kostbar und selten sind, dass sie einem nur einmal im Leben erfreuen. In New York City, der Stadt der Extreme und Superlative, wird der Begriff einer solchen “Once in a Lifetime Experience” sehr inflationär verwendet. Nur allzu gerne und oft, wird vom letzten Shopping-Exzess, der neuesten Broadway-Produktion oder eben dem jüngsten Restaurantbesuch geschwärmt und bei deren Nacherzählung gerne maßlos über die Strenge geschlagen. Wenn wir von unserem Dinner im Eleven Madison Park (kurz EMP) berichten, wollen wir hingegen nicht übertreiben. Die New Yorker würden nach einem EMP-Besuch sofort in einen Hype verfallen: “Extraordinary! Spectacular! Life changing!“. Und dieses eine Mal müssen wir ihnen Recht geben – ein Abend im EMP ist ein einmaliges kulinarisches Erlebnis…
Unsere Erwartungen an das Elevent Madison Park sind überirdisch: 3 Michelin Sterne, 4 Sterne in der New York Times, Platz 5 in der Top 50 Liste von San Pellegrino. Mit entsprechender Vorfreude und Kribbeln im Bauch (das man sonst nur von Weihnachten kennt) betreten wir an einem lauen Juni-Abend das noble Restaurant am Madison Square Park, in unmittelbarer Nähe des Flat Iron Buildings. Unser erster Eindruck: hell, freundlich, sehr geräumig. Der luftig-hohe und offene Raum erinnert an eine gediegene Bahnhofshalle. Das kommt nicht von ungefähr – wurden die Räumlichkeiten des EMPs doch ursprünglich als Lobby einer Bank konzipiert. Der Servicechef begrüßt uns amikal und spult den obligaten New Yorker Smalltalk ab. Nachdem wir geklärt haben, dass es uns allen “gut geht” (“How are you doing?“), werden wir zu Tisch geführt.
Um 17:30 Uhr zählen wir zu den ersten Gästen an diesem frühen Abend. Doch die Halle wird sich rasch füllen, denn das EMP ist ausgebucht. Jeden Tag, zu jeder Uhrzeit. Wer einen Tisch ergattern will, muss exakt 28 Tage vorher per Telefon einen Tisch reservieren (30 Minuten Warteschleife inklusive). Warum man sich das antut? Um ein 15 gängiges Degustationsmenü um 195 $ von Küchenchef Daniel Humm zu erleben. Der Schweizer Humm, der das EMP binnen weniger Jahre in den internationalen Gourmet-Olymp gehoben hat, weiß dabei mit New Yorker Werten zu überzeugen: Sein Menü orientiert sich nicht nur an New Yorker Produkten (Fleisch, Gemüse, Getränke) und Herstellern (Brooklyn Brewery, Greensward Cheese Factory), sondern inszeniert seine – meist simplen aber ausdrucksvollen – Kreationen nach den Eigenheiten der New Yorker Seele (Central Park Picnic, Clambake, etc.). Ach ja, Menükarte gibt es keine. Unvorstellbar für New Yorker, die schon bei einem simplen Kaffee mehr als 20 Auswahlmöglichkeiten gewohnt sind. Fein für uns, wir lassen uns gerne überraschen…
Wie derzeit in Gourmet-Restaurants en vogue, rechnen wir zu Beginn des Degustationsmenüs mit einem spektakulären Amuse Bouche Feuerwerk. Daniel Humm macht uns hier gleich einen Strich durch diese Rechnung und stellt uns ein schlichte Schachtel auf den Tisch. Enttäuschung? Aber wo! Das Auspacken alleine macht schon diebische Freude, und der Inhalt – ein schwarz-weißer Bohnenkraut-Cookie gefüllt mit Cheddarkäse und Apfel - erfreut uns noch mehr. Klar, spektakulär geht und schmeckt anders – aber wir haben ja noch 14 Gänge vor uns!
Gang Nummer 2 entspricht dann schon eher unseren Erwartungen: die Auster mit Sauerklee, Buchweizen und geeister Mignonette erquickt unsere Geschmacksknospen. Dank geeister Sauce gewinnen wir beinahe den Eindruck ein Oyster-Parfait zu genießen, das zudem herrlich mit dem herben Buchweizen-Aroma harmoniert. Die Auster erinnert uns an die Brooklyn Oyster Party auf der Food Fare Smorgasburg, wo wir einige Tage zuvor mehrere dieser herrlichen Ostküsten-Austern vertilgen durften.
Die Schlagzahl von Küche und Servicepersonal ist hoch. Im Nu steht die dritte Köstlichkeit am Tisch: der Spargel mit Rhabarber-Vanillepudding und Kaviar offenbart eine der größten Stärken des EMP-Küchenteams: Junges Gemüse (hier der Spargel) ist nicht nur von bester Qualität und höchster Frische, sondern wird zudem grandios zubereitet. Alles schmeckt so, als wäre es soeben erst von einem Gemüsegarten des umliegenden Madison Square Park geerntet worden. Mehrmals an diesem Abend fühlen wir uns in unsere Kindheit zurückversetzt, als wir in Omas Gemüsegarten frische Leckereien naschen durften. Fakt bleibt: Gemüse, Fleisch und Meeresfrüchte kommen allesamt aus der Region New York – und die hat einiges zu bieten.
So zum Beispiel auch eine Surf Clam (Trogmuschel) mit Saubohnen, Meyer Lemon und grünen Knoblauch. Unter der Creme versteckt sich hier ein feines Muschel-Gemüseragout mit süß-sauren Zitronenaromen und feinsten Knoblauch-Touch. Diese Variation ist die erste ganz großes Geschmacksexplosion in der Menüfolge, die mit tollem Texturspiel zwischen cremigen Schaum und bissfesten Ragout überzeugt. – Nun wird es aber Zeit für die erste große Inszenierung:
Ein New England Clambake (traditionelles Muschelessen am Strand) wird mit dem nächsten Muschelgang imitiert. Eine herb abgeschmeckte Littleneck Clam (Ostküsten-Venusmuschel) mit Radicchio, Apfel, Dill und Kerbel begeistert neben einer erfrischenden Wellhornschnecke mit Fenchel, Couscous und Zitrone. Die Schnecke gefällt uns hier genau so wie der feinkörnige Couscous und das dazugereichte ofenwarme Parker House Brötchen. Nachdem die Meeresfrüchte-Variationen unter breitem Grinsen verspeist sind, widmen wir uns dem dem Chowder - einer sensationellen samtig-cremigen Muschelsuppe, die aus einer Teekanne selbst in Tonbecher eingeschenkt wird. Die Teekanne wurde in der Zwischenzeit auf heißen Steinen und Algen warm gehalten, wobei sich unsere Kellnerin mit einem Wasseraufguss am heißen Stein unter kräftigen Dampfen und Zischen effektvoll von uns verabschiedete.
Mittlerweile zeigt sich das Restaurant gut gefüllt. Einige Gourmet-Touristen wie wir, aber auch viele New Yorker, erfüllen die alte Bank-Lobby mit regem Leben und launigen Treiben. Stille und Zurückhaltung sucht man an den New Yorker Fine Dining Adressen zum Glück vergebens. Auch das Servicepersonal spielt da mit: Sehr aufmerksam, mit viel Elan und Charme führt die EMP-Crew durch das Programm. Beim nächsten Gericht dürfen wir sogar zwischen zwei Gänseleber-Varianten wählen. Einerseits lässt eine Gänseleber-Terrine mit schwarzem Trüffel und Spargel unser Herz höher schlagen.
Andererseits dürfen wir eine Gebratene Gänseleber mit Spargel und Kartoffel-Crumble auf unserer Zunge zergehen lassen. Daniel Humms Küche benötigt nicht viele Komponenten für ein eindrucksvolles Geschmackerlebnis – so einfach wie gut haben wir eine Foie Gras noch selten gegessen.
Im nächsten Gang wird dieses simple Zubereitungs-Credo auf ein Maximum reduziert. Der Gast darf jetzt nämlich selber kochen: Karottentatar. Was wie ein Hohn auf die Steak-Hochburg New York klingt, muss auch als solcher verstanden werden. Im EMP darf neben Fisch und Fleisch eben auch das Gemüse der Star sein. Die sanft gegarte Karotte wird dabei vom Kellner direkt bei Tisch im Fleischwolf faschiert und anschließend auf ein Holzbrett drapiert.
Dort warten neben Senföl und Karottenvinaigrette neun Schälchen feinster Zutaten, um mit dem Karottentatar vermengt und nach eigenen Belieben abgeschmeckt zu werden: Meerrettich, Sonnenblumenkerne, eingelegtes Wachteleigelb, Apfelsenf, Schnittlauch, Senfsamen, Kren, Erbsen und Meersalz ergeben gemeinsam mit der Karotte ein göttliches Gemüsetatar.
Die Assoziation mit dem Beef Tatar funktioniert eindrucksvoll, das Selbermachen entpuppt sich als mehr als nur ein plumper Gag. Die kleinen Schälchen laden dazu ein, die Zutaten einzeln zu kosten und deren Geschmäcker zu entdecken. Bei den Erbsen, Senfsamen und Sonnenblumenkernen macht das besonders viel Spaß. Das Abschmecken des Tatars wird wiederum zum Konkurrenzkampf mit dem Tischnachbarn – frei nach dem Motto: Wer macht es besser? Einfach. Genial.
Nach dieser spektakulären Einlage geht es klassisch weiter: Der Pochierte Hummer mit Zuckererbsen, Morcheln und Kalbsbries könnte von Geschmack und Präsentation her auch vom Austrogriechen Konstantin Filippou stammen. Ein Kompliment. Die Erbsen schmecken nach Erbsenkonzentrat, sind aber bloß Erbsen. Morcheln und Kalbsbries harmonieren perfekt zum pochierten Schalentier. Und über den Garpunkt und Geschmack des Hummers brauchen wir erst gar nicht diskutieren. Besser geht nicht.
Brennnesseln mit Kartoffeln und Ziegenkäse beweisen, dass auch ein schnödes Unkraut ein Geschmackserlebnis sein kann. Das luftige Ziegenkäse-Schäumchen halten wir zunächst nur für den Aufputz, macht aber das Tüpfelchen auf dem “i” dieser Speise aus.
Beim Hauptgang dürfen wir zum zweiten und letzten Mal an diesem Abend wählen: Die Entscheidung zwischen Ente und Lamm fällt auf das Lamm, da wir bereits ein paar Tage zuvor im NoMad (das ebenfalls zum Humm’schen Imperium gehört) Geflügel hatten. Als erster Teil des Hauptgerichts kommen Gebackene Lammnieren mit wildem Lauch, Kopfsalat und Meyer Lemon auf den Teller. Ein deftiger Appetizer, abgerundet mit frischem Salat und knackigem Gemüse, der Lust auf mehr macht.
Das Mehr lässt nicht lange auf sich warten: Geröstetes Lamm mit Grünweizen, Minze und wildem Lauch liegen im Halbkreis arrangiert am Teller. Natürlich sind alle Fleischstücke perfekt gebraten. Natürlich mundet dieses Gericht außerordentlich gut (besonders das Grünweizen-Risotto hat es uns angetan). Dennoch: das Lamm wird uns nicht als Höhepunkt des Menüs in Erinnerung bleiben.
Eine Chance auf diesen Titel hat da schon eher der Käsegang, der als Central Park Picknick im Korb serviert wird. Einmal mehr dürfen wir selbst Hand anlegen. Teller, Besteck und Gläser sind schnell ausgepackt. In Letztere schenken wir ein hervorragendes naturtrübes Weizenbier ein.
Dazu gibt es einen traumhaft stinkig-würzigen Greensward Käse mit Brezel, Senf und eingelegten Erdbeeren. Unnötig zu erwähnen, dass bei einer solchen Kulinarik-Bombe die Hot Dog- und Pretzel-Wägen am Central Park nicht mithalten können.
Zwischen Käse und Dessert wird noch eine Erfrischung gereicht. Die Eicreme mit Malz, Vanille und Selterswasser (eine Spezialität aus Brooklyn) wird am Tisch zubereitet und stellt mit seiner pikanten, süßen und spritzigen Kombination die perfekte Überleitung zu den Nachspeisen dar.
Etwas wehmütig blicken wir auf die pikanten Gänge zurück. Erstens weil wir keine Dessert-Tiger sind, und zweitens weil das bis jetzt Gebotene wohl einfach nicht mehr getoppt werden kann. Dennoch: die erste Nachspeise schaut vielversprechend aus und klingt verlockend: Minz-Sorbet mit Fernet Branca und Schokoladen-Ganache. Und natürlich: Ganz großes Kino auch bei Süßspeisen! Erfrischend und schokoladig, cremig und knusprig – für jede Geschmacksempfindung ist etwas dabei.
Beim zweiten Dessertgang verzückt uns Daniel Humms Interpretation eines New Yorker Cheesecakes. Der Schafmilch-Käsekuchen mit Mango und Erdnüssen verfügt über derart viel Eleganz und Leichtigkeit, dass er trotz 14 vertilgter Gänge noch leicht Platz in unsere verwöhnte Mägen findet.
Zum Abschluss des Degustationsmenüs wird noch einmal tief in die (Zauber-)Trickkiste gegriffen. Unsere sympathische Hauptkellnerin präsentiert uns einen netten Kartentrick, bei dem wir schlussendlich zwei Karten mit unterschiedlichen Symbolen auswählen: eine Karte mit Minzblatt- und eine Karte mit Popcorn-Symbol. Daraufhin werden wir gebeten unter den Käsekuchen-Teller zu blicken – und tatsächlich: 2 Schokopralinen mit den richtigen Symbolen und Aromen kommen zu Vorschein.
Zum Kaffee wird weniger auf Magie sondern auf Bodenständiges gesetzt: Beim Schoko-Brezel mit Meersalz bekommen wir demonstriert, wie süße und salzige Aromen perfekt zusammenspielen. Dazu wird noch eine (volle!) Flasche Apfel-Brandy gereicht – zum Selbereinschenken versteht sich. “Sie können die Flasche ruhig leeren” versichert uns die Servicekraft. Na dann: Gute Nacht!
Wir haben die Flasche dann doch nicht geleert und finden uns wenig später – nach dem schmerzhaften Begleichen der Rechnung – auf einer Parkbank des Madison Square Park wieder. Wir sinnieren über das gerade Erlebte und sind uns einig, dass wir in Österreich zwar schon ähnlich gut gegessen haben (z.B. im Steirereck), aber ein solch durchgestyltes kulinarisches Gesamtkunstwerk noch nie genießen durften. Service, Ambiente, Präsentation, Geschmack, Innovation und kreative Inszenierung – im Eleven Madison Park wird das volle Programm geboten. Preis-Leistung? Das muss jeder für sich entscheiden; ob gutes oder schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis lässt sich in diesen Sphären objektiv nicht mehr beurteilen. Das Eleven Madison Park ist auf jeden Fall eine einzigartige Erfahrung für alle Food-Verrückten-Leute auf dieser Erde, die nicht nur Essen in Perfektion sondern auch ein witziges und kurzweiliges Drumherum zu schätzen wissen.
Sehr Empfehlenswert | Preis-Leistung: ok
Eleven Madison Park
11 Madison Avenue, New York, NY 10010
www.elevenmadisonpark.com
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