Wir haben’s ja schon immer gewusst! Richard Rauch, seines Zeichens Chefkoch vom Steira Wirt in Trautmannsdorf, ist ein ganz Großer. Und das wurde jetzt endlich auch amtlich bestätigt – von den honoren Damen und Herren des Gault Millau, die den jungen Richard als Koch des Jahres 2015 ausgezeichnet haben. Natürlich völlig zu Recht. Seit vier Jahren besuchen wir den Steira Wirt einmal jährlich und seit drei Jahren schwärmen wir uns auf Topf & Deckel darüber weg (Bericht 2012, Bericht 2013). Natürlich könnten wir uns jetzt wahre Trendscouts schimpfen, aber die Entdeckung in der südoststeirischen Pampa haben wir unseren Fressfreunden zu verdanken, die uns 2011 erstmals zum Steira Wirt führten. Und weil wir mit so schönen Traditionen wie den jährlichen Steira Wirt Besuch nicht brechen wollen, folgt hier unser Bericht vom heurigen Jahr:
Der Steira Wirt hat sich mittlerweile auch punkto Ambiente gemausert. Außen regiert noch immer der bewusst-rustikale Wirtshaus-Charm, beim Betreten der Gaststube kommt aber sofort der noble Flair eines gemütlichen Edelschuppens auf. Einzig die Toiletten schauen aus wie eh und je und erinnern mehr an eine 80er Jahre Backhendl-Station als an einen modernen Gourmettempel. Hier gibt’s Handlungsbedarf
Ansonsten sind wir aber ganz still, denn das Geschwisterpaar Rauch macht fast alles richtig – nein: sie machen alles goldrichtig. Das zeigt sich erstmals beim üppigen Gedeck, das u.a. aus hauchdünn geschnittenen und 18-Monate gereiften Johann-Schinken besteht, der beinahe von alleine auf der Zunge schmilzt. Dazu wird noch cremige Ziegenbutter mit Blütensalz sowie hausgemachtes Fladenbrot gereicht.
Der Steira Wirt hat seine Ankündigung vom letzten Jahr umgesetzt und sein kulinarisches Profil weiter geschärft. Die Rauchs fahren nun zwei getrennte Linien: Einerseits die klassische Wirtshausküche und andererseits die kreative Gourmetküche, bei der dem Gast ein Überraschungsmenü in fünf, sieben oder neun Gängen serviert wird (zu 75, 95 bzw. 115 €). Wir wählen die goldene Mitte und ordern noch die Weinbegleitung um 59 € sowie die (erstmals angebotene) alkoholfreie Getränkebegleitung um 30 € dazu. Gaumenreise nennt Rauch dieses kulinarische Gesamterlebnis, das mehr einem Opern- als einem Restaurantbesuch gleicht (mittlerweile leider auch preislich, aber wer möchte es ihnen verdenken).
Die Ouvertüre zur großen Genussoper bilden (wie immer beim Steira Wirt) zahlreiche Amuse Bouches, die von der Küche im Minutentakt abgefeuert werden. Den Start bei den traumhaften Köstlichkeiten vorweg machen eine knackig-erfrischende Gurke mit Frischkäse und frittiertem Mini-Saibling…
… gefolgt von einer mit Kürbis und Forelle gefüllten Makrone. Die pikant gefüllten Makronen, mittlerweile schon wahre Steira Wirt Klassiker, explodieren nach dem ersten Biss förmlich am Gaumen und beglücken uns dann mit ihrem intensiven Aromenspiel.
Der Pilz-Tapioka Chip mit Verjus-Rosinen, Saiblingslebercreme und Quendel wird spektakulär auf einer (echten?) Fischgräte präsentiert. Für Verwunderung sorgen hier nicht nur die Zutaten (Tapioka – what?), sondern auch die Erkenntnis wieviel Geschmack in so einen kleinen Bissen stecken kann.
Wenn Richard Rauch einen Sautanz veranstaltet, sollte man unbedingt dabei sein. In komprimierter Version bringt er diese Tradition unnachahmlich mit seinem luftig-intensiven Bluattommerl samt Grammeln, Zwiebel und Sauerrahm auf den Teller. Ein Biss – ein Genussmoment für die Ewigkeit. Das neue Signature Dish des Ausnahmekönners.
Severin Corti (der Gourmetpapst vom Standard) könnte seine Suche nach dem heiligen Umami-Geschmacks-Gral beenden, würde er doch einfach mal nach Trautmannsdorf fahren. Dieses Schälchen mit hausgemachter Sojasauce, Sellerietascherl, Selleriechip und Berberitzen zeigt eindrucksvoll wie aus natürlichen Zutaten die fünfte Geschmacksrichtung in konzentrierter Form rausgekitzelt werden kann. Das ist kein Gericht, das ist eine Demonstration!
Rind und Rettich: Rinderschaum / Rinderbrust / Rettich / Oxmark / Beef Tatar
2012 Morillon vom Opok, Sepp Muster, Südsteiermark
Kombucha Classic / Johannisberensaft
Trotz sechs (!) Amuse Bouches vergeht der Reigen an kleinen Genusshäppchen viel zu schnell. Zum Glück geht’s jetzt erst so richtig los – und wie! Küchenchef Rauch zaubert im ersten Akt das Thema Rind und Rettich auf den Teller. Angerichtet wird zeitgemäß, die Rettich-Röllchen sind kunstvoll am Tellerrand drapiert und werden von einem wuchtig-rauchigen Rinderschaum begleitet. Gemeinsam mit der Rinderbrust geht die Kombination deftiges Rind und aromatisches Gemüse voll auf. Zum Drüberstreuen gibt es im Extraschälchen noch ein grob gehacktes Beef Tatar mit Oxmark. Na wumm!
Stegersbacher Flusskrebse: Süßkartoffeln / Fenchel / Karotten / Gerösteter Krebsfond / Weizensprossen / Tagetes
2012 Grüner Veltliner “Steintal”, Alzinger, Wachau
Karotte / Anis
Etwas subtiler, aber nicht weniger kraftvoll ist der zweite Gang gestaltet. Für die Stegersbacher Flusskrebse lassen wir jeden Hummer stehen, den mollig-intensiven Krebsfonds könnte man am Hafen von Marseille literweise als Bouillabaise verkaufen. Für Crunch sorgen die Weizensprossen, Karotten und Süßkartoffeln dürfen das Gericht mit ihren softeren Texturen abrunden.
Steirische Jakobsmuscheln: Stierhoden / Amaranth / Avocado / Algensenf / Malabarspinat
2010 Grauburgunder “Schlosskogel” Erste STK Lage, Winkler-Hermaden, Südoststeiermark
Gartenkräuter-Tee
Mit den steirischen Jakobsmuscheln haben wir fix gerechnet, der Ruf eilt ihnen voraus. Dahinter vergebergen sich Stierhoden, die in ihrer Textur und Bissfestigkeit entfernt an Meeresfrüchte erinnern. Serviert werden sie gewälzt in Amaranth begleitet von Avocado, Algensenf und Malabarspinat. Rauchs Botschaft: alle Teile des Tiers sind wertvoll und können zu köstlichen Speisen verarbeitet werden. Gewusst wie! Aber ganz ehrlich: mit diesen Sößchen und Beilagen könnte man auch eine Schuhsohle zu einem Top-Gericht pimpen.
Ripperl vom “Johann”-Freilandschwein: Radicchio / Rote Rüben / Isabellatrauben / Ingwer
2011 Merlot, Hutter, Südoststeiermark
Rote Rübe / Apfel
Der nächste Teller könnte auch auf den Namen “Kettensägenmassaker” hören. Wenn rote Rüben im Spiel sind, schaut es halt schnell ein bisschen blutrünstig aus. Die Inszenierung geschieht natürlich bewusst und setzt die saftig gegarten Rippchen vom Johann-Freilandschwein perfekt in Szene. Die süß-würzig marinierten Ripperl werden noch durch eine lieblich-pikante Ingwersauce im Geschmack unterstützt. Gelungen, wenn auch nicht der stärkste Gang des Abends.
Kotelett vom “Johann”-Freilandschwein (8 Wochen gereift): Mais / Zwiebel / Curry / eingelegte Quitte / Sesamschaum / Schweinsknöderl
2012 Buchertberg rot, Herrenhof Lamprecht, Südoststeiermark
Earl Grey / Ribiselmark
Harmonischer am Teller und auch gelungener im Aromenspiel kommt im Anschluss das Kotelette vom Johann-Freilandschwein daher. Das gut gereifte Kotelette durfte wohl am Big Green Egg Platz nehmen und verströmt genauso wie der gegrillte Mais perfekte Röstaromen. Zart am Gaumen, kräftig im Geschmack, raffiniert in der Kombination. Nur das mit Schweinspastete (?) gefüllte Knöderl ist uns fast “too much”.
Trautmannsdorfer Honig: Frischkäsebruch / Zimtblüten / Haferflocken / Isabella / Aronia
TBA, Non vintage, Kracher, Neusiedlersee
Verjusfrizzante
Die Pâtisserie musste sich beim Steira Wirt noch nie verstecken – so auch dieses Mal. Das Thema der Regionalität wird mit dem Trautmannsdorfer Honig perfekt umgesetzt. Ein fluffig-süßer Ring, der nur im Aussehen an einen Donut erinnert, bildet den Kranz für feinste Blüten und Aroniatrauben. In der Mitte thront noch ein großartiges Sorbet von der Isabellatraube. Zum Niederknien.
Affinierte Käse von Bernhard Gruber – Fromagerie zu Riegersburg: Chutney / Früchtebrot / Schüttelbrot
Wie gut, dass sich der Steira Wirt inmitten der Genussregion Vulkanland befindet und aus dessen Vollen schöpfen kann. Neben der großteils regional gestalteten Weinbegleitung, kommt auch der Käse aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Ein Glücksfall: denn Bernhard Gruber von der Fromagerie zu Riegersburg ist ein wahrer Mann von Fach und liefert mit dieser Variation einen mehr als gelungenen Beitrag zur Steira Wirt Gaumenreise. Mit dem 10 Jahre gereiften Almkäse werden allerdings die Geschmacksgrenzen ausgelotet!
Schaffrischkäseschaum: Marille / Ziegenjoghurt / Blauschimmel vom Schaf 12 Monate gereift
Eiswein, Nigl, Kremstal
Kombucha Quitte
Der beanspruchte Gaumen wird durch den dazugereichten Schaffrischkäseschaum wieder auf Vordermann gebracht. Die in Stickstoff geeisten Ziegenjoghurt-Perlen bilden gemeinsam mit dem würzigen Käse und der fruchtigen Marille eine einzigartige Geschmackskomposition. Da soll noch einer über die Molekular-Küche schimpfen…
“Kleine Naschereien”: Piratenpraline / Erdnuss-Macarons / Powidl-Macarons / Zitronentarte / Wacholderzuckerl
Zum süßen Abschluss wird mit dem Petit-Fours-Wagen noch eine weitere Steira Wirt Neuerung in den Gastraum gerollt. Der sympathische Pâtissier tischt uns davon nach Belieben verboten gute Süßigkeiten auf. Die Macarons sind wie immer hervorragend, die Zitronentarte ein Träumchen und die Zuckerl mit flüssigen Wacholder sehr erfrischend. Allein über die Piratenpralinen mit Rum in Totenkopf-Optik traut sich keiner drüber. Vielleicht lag’s auch daran, dass wir allesamt mehr als satt waren. Der Petit-Fours-Wagen ist bestimmt eine tolle Idee, dennoch haben uns die kleine Naschereien aus den letzten Jahren (die noch normal serviert wurden) etwas besser gefallen. Wir sagen nur: ZRosenzuckerwatte und Mini-Magnums!
Es scheint paradox: aber der Steira Wirt ist im letzten Jahr noch regionaler und dabei gleichzeitig internationaler geworden. Zu Fleisch aus der eigenen Produktion, Gemüse aus dem eigenen Garten und Isabellatrauben von der eigenen Terrasse gesellen sich, neben modernster Küchentechnik, auch exotischere Ingwer-, Curry- und Sojasauce-Aromen. Erwachsen gibt sich auch die Getränkebegleitung: die Weinbegleitung bietet das Beste aus der Umgebung und schafft einen gelungenen Spagat zwischen klassischen Gewächsen und den aktuellen Natural Wine Trend. Die alkoholfreie Variante gehört sowieso zum stärksten, das wir in diesem Bereich je erleben durften (Verjusfrizzante! Tees!) und ist wohl nur mit dem Taubenkobel zu vergleichen. Wenn beim nächsten Mal noch Craft Beers oder ein Sake dabei sind, hätte man die volle Palette durch…
Während bei Speis und Trank kaum mehr geht, haben wir das Servicepersonal beim Steira Wirt schon mal besser aufgelegt gesehen. Natürlich muss das Team hier eine logistische Höchstleistung stemmen, die unseren höchsten Respekt verdient, dennoch würden wir uns wieder mehr Schmäh, Charm und Lockerheit wünschen. Vielleich lag es aber einfach auch daran, dass Patronin Sonja hauptsächlich den anderen Gastraum bediente. Wie auch immer: wir jammern da jetzt am höchsten Niveau und suchen da schon nach dem berühmten Haar in der Suppe.
Es kommt nicht oft vor, dass wir ein Restaurant mehr als einmal besuchen. Auch wenn wir ein Lokal fantastisch finden, wollen wir lieber neue Erfahrungen machen als nochmal in das gleiche Gasthaus zu gehen. Beim Steira Wirt ist das anders – ganz anders. Wir besuchen dieses Kleinod jedes Jahr und werden bestimmt auch im nächsten kommen. Und das ist von uns das schönste aller Komplimente.
Sehr Empfehlenswert |
Preis-Leistung: ok
Steira Wirt – Das Wirtshaus der Familie Rauch
8343 Trautmannsdorf 6
www.steirawirt.at