Meinrad Neunkirchner zählt seine Hauben und Sterne schon lange nicht mehr. Auf Auszeichnungen pfeift er vermutlich genauso wie auf Presse- und Blogger-Rezensionen. Deshalb kocht er in seinem Gourmet Gasthaus Freyenstein (warum bitte nicht nur Freyenstein?) so, wie es ihm gefällt. Und trotzdem, oder genau deshalb, löst Neunkirchner mit seinem Edelbeisl regelmäßig Begeisterungsstürme in der Zunft der mehr und weniger professionellen Gastrokritiker aus. Bei den Foodbloggern darf er sich sowieso größter Beliebtheit erfreuen – nicht nur dank Freyenstein-Hooligan Katharina Seiser, die gemeinsam mit Neunkirchner so großartige Werke wie Einer für Alles, Österreichisch Vegetarisch und So schmecken Wildpflanzen herausgebracht hat. Das heißt für uns: nicht nur die Erwartungen sind unglaublich hoch. Nein, es muss uns hier ganz einfach schmecken. Alles andere käme ja fast einer Majestätsbeleidigung gleich! Ob es wirklich so weit kommen musste?
Ins Freyenstein im etwas entlegenen 18. Bezirk reist man besser nicht mit dem Auto an, es sei denn man möchte 15 Minuten im Kreis fahren um eine Mini-Parklücke zu ergattern. Also: Bim oder Bahn nehmen. Im Gourmet Gasthaus angekommen schaut es dann aus wie – tja – in einem typischen Wiener Gasthaus, oder sollen wir lieber Tschocherl (im positivsten und charmantesten Sinne) sagen? Wobei: so klein ist das Freyenstein gar nicht, sondern eher verwinkelt. Gleich vier Gasträume bietet dieses kulinarischen Kleinod. Sehr sympathisch finden wir, dass es keine Speisekarte gibt bzw. es gibt sie schon, nur steht halt nur ein Menü drauf. Dieses wechselt täglich, besteht aus 4×2 Gängen plus einer großzügigen Dessertvariation (oder einem Käsegang) und kostet für Wiener Verhältnisse fast nix. Genauer gesagt: 48 €. Für weitere 28 € bekommt man auch eine Weinbegleitung dazu, die wir diesmal aber nicht ordern.
Als erster von zwei Amuse Bouches machen erfrischenden Rahm-Gurken mit Saiblings-Kaviar den erfreulichen Anfang. Der bitter-würzige Ysop gibt dem kleinen Happen einen ordentlichen Twist ohne den Kaviar-Geschmack zu ruinieren. Aha, so arbeitet Neunkirchner mit Kräutern. Bitte mehr davon!
Das Tramezzini als zweiter Gruß aus der Küche schaut mal banal aus und schmeckt auch so. Das ändert sich schlagartig sobald man die herrlich abgeschmeckte süß-saure Sauce darunter entdeckt hat und mit dem Tramezzini auftunkt. Die restliche Sauce putzt man dan genüsslich mit dem Finger – äh – Löffel zusammen.
Dann geht’s richtig los. Pro Gang werden jeweils zwei Gerichte in angenehmen Portionsgrößen von der Küche geschickt. Gerade so groß, dass man sich in ein Gericht verlieben kann und gerade so klein, dass man gerne noch einen Extralöffel nachhaben möchte (Tante Jolesch lässt grüßen). Die Risotto-Spinatlaibchen mit marinierten Buchenraslingen schmecken ganz famos. Das Risotto ist kernig-bissfest und dennoch cremig, die erdigen Pilze holen etwas Waldgeschmack in die Gaststube. Dazu wird eine Art Sauce Bernaise und feiner Estragon gereicht – ein Träumchen.
Beim Ganslleber-Mousse mit Sanddorn & kleinem Salat erwarten wir uns einen absoluten Knaller. Serviert wird dann ein gutes Gericht, das uns aber nicht voll überzeugen kann. Denn der Geschmack der Leber kommt durch die süßlich abgeschmeckte Sauce mit der dominaten Sanddorn-Säure nicht zur Geltung. Die Idee ist gut, aber die Balance zwischen Bitter-Deftig-Süß und Sauer passt hier für uns nicht ganz.
Zum Niederknien ist hingegen die Ganslsuppe mit Bröselknödel & Kerbel. Hier stimmt alles: Konsistenz, deftig-feinsäuerlicher Geschmack und raffiniertes Aromenspiel. Genial: das Mini-Bröselknödel, das sich noch in der Suppe versteckt. Einziger Fehler: als Suppenschüssel wird eine Espressotasse verwendet
Neunkirchner kann auch superdeftig: die Marinierte Blunze mit roten Rüben, Kren & Oregano schmeckt einfach nur geil. Herrlich fleischig und erfreulich fruchtig, angenehm scharf und subtil würzig, wunderbar cremig und herzhaft knusprig. Ein vermeintlich einfacher Teller, aber mit vollem Geschmack.
Das Rillette von der Räucherforelle mit Pumpernickel, Maronicreme, Pastinak klingt vielversprechend und sieht auch hervorragend aus. Der Geschmack des kugelrunden Forellenverhackerten könnte wohl auch überzeugen, würden nicht ständig Gräten den Kauprozess unterbrechen. Vielleicht hatten wir hier einfach Pech, aber so viele (große) Gräten dürfen einfach nicht in so einem kleinen Kügelchen zu finden sein.
Grätenfrei zeigt sich zum Glück der Knusprige Karpfen von der Kinsky’schen Teichwirtschaft mit Chinakohl und Salzmelde, der uns also Gesamtkomposition sowieso sehr mundet. Der krachknusprig rausgebackene Karpfen mit seinem intensiven Aroma wird toll von der Säure des Chinakohls abgefedert. Die salzig-würzige Salzmelde rundet diesen gelungenen Teller im Geschmack ab.
Katharina Seiser und alle Neunkirchner-Fans sollten jetzt die nächsten Zeilen überspringen und gleich beim nächsten Gang weiterlesen. Noch hier? Ok, sorry: aber die Weidegans mit Beifuß gebraten, Preiselbeer-Rotkraut & Erdäpfelknödl schmeckt leider gar nicht besonders und haben wir schon vielfach (auch in einfachen Gasthäusern, ganz ohne Gourmet) besser gegessen. Natürlich: das Rotkraut ist ok, der Erdäpfelknödl auch noch im grünen Bereich, aber das Gansl ist einfach sehr trocken geraten. Super schmeckt hier nur die Knusperhaut. Entschuldigt diese Majestätsbeleidigung, ab jetzt folgt (fast) kein böses Wort mehr…
Denn bei Speisen wie diesem Rehrücken mit Waldpilzen, Zellermus & Vogelmiere findet man absolut nichts mehr zum Meckern. Das Rehlein wurde hier sehr sanft – ganz ohne Röstaromen – gegart, schmeckt superzart und fein im Wildaroma. Zeller, Waldpilze und Vogelmiere dienen hier als natürliche Geschmacksverstärker ohne dabei zu aufdringlich zu sein. Sehr gelungen!
Bei der Dessertvariation werden wir dann gleich von drei süßen Köstlichkeiten verführt: das Maroni Beignet mit Mohn & Ananassalpikon überzeugt uns mit der Kombi aus Maroni-Mohn und Ananas am meisten. Der Mandeltopfen mit Clementinen & Spearmint hinterlässt bei uns einen indifferenten Eindruck, wohingegen die Schokolade mit geröstetem Kakao, Sauerkirschsaft & Preiselbeeren wieder in die Kategorie süßer Traum fällt.
Hohe Erwartungen hatten wir ins Freyenstein gesetzt. Und diese wurden zwar nicht enttäuscht, aber auch nicht vollständig erfüllt. Begeistert hat uns die Vielfalt der Speisen, die sorgfältige Auswahl der Grundprodukte sowie das pointierte Spiel der Aromen und Kräuter. Weniger gefallen hat uns die einfältige Präsentation der Gerichte, das teils leidenschaftslose Service und das staubtrockene Gansl. Dennoch: im Freyenstein erlebt man für wenig Geld eine kulinarische Reise der Sonderklasse, geeignet für jedermann – vom Gelegenheits-Kulinariker bis zum Profi-Feinschmecker.
Empfehlenswert | Preis-Leistung: gut
Gourmet Gasthaus Freyenstein
Thimiggasse 11, 1180 Wien
www.freyenstein.at