Beinahe jeder Bericht vom Mraz und Sohn beginnt damit, dass man in einem unscheinbaren Vorbezirk wie Wien-Brigittenau wohl kein sterneverdächtiges Restaurant vermuten würde. Wir finden das gar nicht so ungewöhnlich, liegen doch viele der besten Gourmethäuser des Landes am sprichwörtlichen A**** der Welt (z.B. in Schützen, Werfen oder Filzmoos). Wichtiger als der Ort ist aber sowieso die Frage nach dem Koch und dessen Küchenstil, der einem zu Reisen in entlegenere Gefilde motiviert – oder eben auch nicht. Im Falle von Markus Mraz ist ein Abstecher in den Vorbezirk auf jeden Fall gerechtfertigt, denn was in seinem schicken Restaurant kulinarisch abgefeuert wird, schreit schon fast nach einem Skandal: Foodporn, so weit das Auge reicht! Im Mraz und Sohn wird jedes Gericht als optischer Knaller oder mit einem kleinen Gag serviert. Ob bei so viel Oberflächlichkeit auch Platz für geschmacklichen Tiefgang bleibt?
Schon mit den ersten drei Happen aus der Küche (Amuse Bouches) wird uns allerdings klar, dass wir uns diese Frage umsonst gestellt haben: Sepia auf Glasnudelsalat mit Mangocreme und gebackenen Sepiaring, Cottage Cheese mit Rotem-Rübenmantel, Liebstöckl und Anchovis sowie Bouchot-Muscheln mit Dukan-Mayonnaise und Thai-Basilikum (siehe Bilder oben) beweisen, dass alles aus der Mraz-Küche nicht nur verdammt gut aussieht, sondern auch den verwöhnten Gaumen zu überzeugen vermag.
Im Mraz und Sohn wird nur ein Menü angeboten, das entweder in vier, sechs oder neun Gängen geordert werden kann (um 59 €, 75 € bzw. 99 €). Wir entscheiden uns für die große neungängige Offerte inkl. Weinbegleitung (um zusätzlich 55 €), die auf den etwas dubiosen Namen No RisK No FuN hört und damit den extravaganten Geist des Küchenchefs widerspiegelt. Diese Extravaganz, aber auch die erfrischende Unangepasstheit von Markus Mraz, sieht man nicht nur bei der Präsentation seiner Speisen, sondern auch in seiner Kochphilosophie: Mraz setzt bewusst Akzente gegen die bedingslose regionale Küche wie sie etwa im Steirereck oder im Taubenkobel zelebriert wird. Hier gibt es auch Muscheln, Steinbutt und Sepia. Diese werden aber gekonnt mit saisonalen Zutaten aus der Region gepaart und auf höchstem Niveau kulinarisch veredelt. Brigittenau goes International – so kanns gehen!
Vor allem, wenn schon als Gruß aus der Küche solch fabelhaften Gerichte wie das Panierte Kaninchen in Kokos mit Papaya und Misoconfit geschickt werden. Da kann uns selbst die Chirurgen-Pinzette und das allgemein grenzwertige Besteck im Captain-Future-Stil nicht den Appetit auf die nächsten 9 Gänge verderben.
Octopus: Culatello Schinken – Bulgur – Minze – Burrata
Der erste Gang wird spektakulär auf einer Metallplatte serviert, auf die in einer unglaublichen Sisyphus-Arbeit mindestens 120 kleine Burrata-Kügelchen gespritzt wurden. Die einzelnen Komponenten des Gerichts schmecken sensationell: Feinster Culatello Schinken aus Parma trifft auf teuflisch gut gebratenen Pulpo und intensiven Minzpesto. Alleine die Verheiratung der einzelnen Zutaten mag auf diesem Teller nicht zu 100% gelingen. Der Sauvignon Blanc II 2012 vom Weingut Von Winning zeigt, dass aus der Pfalz nicht nur leckere Rieslinge kommen.
Makrele zum Kaffee…? Birne – Sellerie
Ein ähnliches Problem (ähm, wir jammern da jetzt auf extrem hohem Niveau!) wie bei Gang Eins, orten wir auch beim zweiten Gericht. Wieder sind die Einzelteile (butterweicher Fisch, cremiges Broteis, zarte Birnentupfer, knackig-kaffee-aromatisierter Sellerie) perfekt, gemeinsam ergibt sich daraus aber kein ganz stimmiges Gericht. Beim Weinviertel DAC Reserve von Weingut Groiss werden wir aber wieder einmal daran erinnert, dass es gehaltvolle Grüne Veltliner mit schöner Steinobst-Honig-Note nicht nur in der Wachau gibt.
”Trüffelschwein”: Maronisuppe – Texturen von Maroni – Schweinskopf – weißer Alba Trüffel
Das erste Wow-Erlebnis des Abends haben wir dann justament beim Suppengang: Zum nussig-intensiven Sud von der Edelkastanie gesellen sich noch weitere Texturen von der Maroni (cremig und kross) in einer opulenten Porzellanschale dazu. Der deftige Schweinskopf harmoniert damit ganz hervorragend. Abgerundet wird diese fantastische Gericht mit ein paar Glücks-Aromen des edlen weißen Alba Trüffels. YES!
Venusmuschel mit Zungenschlag: Kalbszunge – Quitte – Kürbis
Normalerweise ist eine Zunge in der Haute Cuisine fast nicht mehr als solche zu erkennen. Anders hier: mutig wird die sanft gegarte Kalbszunge ganz unverblümt zur Schau gestellt und mit den Meeresaromen des Venusmuschel-Fonds umschmeichelt. Eine Kombination, die überraschend gut funktioniert. Besonders spannend sind hier wieder die unterschiedlichen Texturen von Quitte und Kürbis – Ausflüge in die Molekularküche inklusive. Der feinfruchtige und straff-mineralische Chablis Premier Cru Vendages 2010 von Patrick Piuze lässt uns etwas wehmütig an unseren letzten Frankreich-Urlaub zurück denken.
“Ham & Eggs”: Steinbutt – Spinat – weißer Alba Trüffel
Eine Deluxe-Version des Frühstücksklassikers offenbart sich uns beim fünften Gang: Ein 60-Minuten-Eidotter und ein salzig-rauchiger Speck-Jus bilden die Basis dieses brillanten Gerichts. Dazu gibt es einen butterzarten Steinbutt und einmal mehr ein wunderbares Spiel mit den Texturen – dieses Mal mit Spinat (roh mariniert, als Creme und als Chip). Ein sensationelles Essen hat einen sensationellen Wein verdient: dieses Paar findet sich glücklicherweise mit dem Batàr 1999 von der Agricola Querciabella aus der Toskana. Eine Bombe: reif-fruchtig, würzig, rauchig und komplex – mit viel Schmelz und endlosem Abgang. Einen 6er-Karton bitte!
B & B vom Lamm: Bries & Bauch – türkisches Cous Cous – Artischoke
Ein Filet zum Hauptgang macht jeder – nicht so Markus Mraz. Er serviert lieber Bries und Bauch vom Lamm. Tollkühn, aber diese Rechnung geht voll auf. Als stimmige Beilage findet sich ein hervorragender türkischer Cous Cous und Zweierlei von der Artischoke auf dem Teller. Der kräftig-raffinierte Vino Nobile di Montepulciano DOCG 2009 von der Cantine Dei harmoniert wunderbar zu diesem derb-deftigen Fleischgang.
Die Öde Ente: Ödenburger Ente – Keule asiatisch – Rotkraut – Nashi Birne
Alles andere als öde ist auch die zweite Variante des Hauptgangs: Die zart-aromatische Ente im kackigen Tempurateigröllchen kann unseren Gaumen begeistern. Die Süße und Säure der Nashi Birne unterstützt die Ente perfekt im Geschmack und sorgt für einen asiatischen Touch.
Käse vom Wagen: Trüffelhonig – Marillenchutney – Rosinensalat – Essignüsse- Oliven – Pesto
Schon der Käsewagen selbst – ein gelungenes DIY-Projekt der Familie Mraz – ist eine kleine Attraktion, der dank seiner schnittigen Form elegant durch die schmalen Gänge des Restaurants kurven kann. Trotz begrenzter Maße hat es der Wagen in sich, denn er ist mit über 50 verschiedenen Käsesorten (hauptsächlich französische Rohmilchkäse, aber auch Spezialitäten aus Österreich, Italien, Spanien und England) bestückt. Die Käseauswahl lässt somit genauso wenig Wünsche offen wie die knapp 15 Brotsorten, die jeden Tag frisch im Haus gebacken werden. Das dazugereichte Klimbim zum Käse ist eh gut, für uns Käsepuristen aber natürlich vollkommen unnötigt.
Nicht unnötig erachten wir hingegen, dass zum Käse drei unterschiedliche Weine gereicht werden (weiß-mittel, rot-kräftig und weiß-kräftig). Eine simple, aber großartige Idee: Riesling 2011, Weingut Tegernseehof (Wachau), Domain Bessa Valley Enira Reserva 2009, Chateau Enira (Bulgarien); Ladoucette Baron de Appellation Pouilly-Fumé Contrôlée 2011 (Loire, Frankreich).
Tropisch & Exotisch
Wie bei den meisten Nobel-Hütten haben wir leider auch im Mraz und Sohn einen kleinen Leistungsabfall geortet, sobald es zu den Süßspeisen kommt. Zunächst wird uns ein Joghurt in einem bizarren Eierbecher kredenzt, danach bekommen wir ein tropisch-exotisches Dessert mit Banane, Ananas und Co in unterschiedlichsten Variationen. Die Nachspeise schmeckt zwar, wir hätten sie aber gerne noch eine Spur frischer und frecher, dafür weniger süß gehabt. Tadellos ist hingegen die Traminer-Auslese 2011 von Feiler-Artinger.
Whisky Flight
Die komplexen Aromen eines Whiskys sollen mit diesem Dessert aus aromatisierten Schokoküchlein und Texturen von der Tonkabohne eingefangen werden. Eine Übung, die nicht ganz gelingen mag. Wieder gilt: Sehr gut, aber im Vergleich zu den vorigen Gängen nicht ganz so überzeugend.
Milchbubi
Eine kleine Mogelpackung ist das Milchbubi-Dessert, bei dem das Teller am meisten Aufregung erzeugt und eine essbare weiße Creme vortäuscht. Küchlein, Knöderl und Saucen sind natürlich absolut in Ordnung – um einen à la Carte Preis von 14 € erwarten wir uns dennoch etwas mehr. Die Kracher-Beerenauslese kann uns dann schließlich doch noch ein wenig über die mittelmäßig Nachspeise hinweg trösten.
Kaffee und Petit Fours
Nach einer Marathon-Sitzung von fünf (!!!) Stunden gönnen wir uns schließlich noch einen Espresso zu den hervorragenden Petit Fours (mit dem Thema Traube inkl. Demeter-Traubensaft von Meinklang). Das schönste Lob dabei für die Gastgeber: es kommt keine Minute Langeweile auf – die fünf Stunden vergingen wie im Flug. Viel Anteil daran hat der charmante Wein- und Käse-Sommelier, der jedes Glas Wein mit uns ausführlich bespricht und auch beim Käse durch profundes Wissen begeistert. Etwas zurückhaltend an diesem Abend ist Restaurantleiterin Peggy Strobel. Sie verdient aber dennoch viel Lob, weil sie im rammelvollen Haus keine Hektik aufkommen lässt und mit einer Engelsgeduld selbst die bizarrsten Fragen ihrer teils zwielichtigen Gäste-Klientel beantwortet (“Sind Sie ein Hauben-Lokal?“, “Kennen Sie den Naschmarkt?“, etc.).
Noch kurz zum Ambiente: das finden wir absolut stylisch und zeitgemäß, die Atmosphäre ist locker und recht ungezwungen, auch wenn uns das Restaurant insgesamt eine Spur zu durchdesignt ist. Aber das Wichtigste: die Einrichtung ist individuell und hat eigenen Charakter – ganz so wie die Mraz-Küche selbst.
Empfehlenswert | Preis-Leistung: ok
Mraz und Sohn
Wallensteinstraße 59, 1200 Wien
www.mrazundsohn.at